Den ukrainischen Privatsektor über Wasser halten – und auf den Wiederaufbau vorbereiten
Die Economic Resilience Action-Initiative der IFC soll die laufende Unterstützung verstärken

In über zehn Jahren als Fitnesstrainerin in Kiew hat Marina Smal schon praktisch alle Arten von Workout geleitet, von Kinderyoga und Power Stretching bis hin zu Krafttraining. In dem Fitnessstudio, das sie 2019 gemeinsam mit ihrem Partner gegründet hat, koordiniert sie zahlreiche Kurse und Einzeltrainings. Es geht oftmals hektisch zu, aber die Arbeit gibt ihr sehr viel. Genauso hatte sie sich das vorgestellt, als das Paar beschloss, ein eigenes Unternehmen zu gründen.
„Für uns war das nicht einfach ein Job, sondern ein wahr gewordener Traum“, erinnert sie sich.
Als die russische Invasion in der Ukraine im Februar 2022 begann, dachten Marina und Oleksandr Matviychuk, die nicht nur Geschäftspartner, sondern auch privat ein Paar sind, nie daran aufzugeben. Heute, nachdem die russischen Angriffe auf Kiew 80 Prozent des Stromnetzes der Stadt zerstört haben, finden die Kurse im Schein von Kerzen und Taschenlampen statt – und, wenn das WLAN funktioniert, auch online.
Marina Smal leitet einen Yogakurs bei Kerzenlicht während eines Stromausfalls in Kiew. Foto von: Marina Smal.
Marina Smal leitet einen Yogakurs bei Kerzenlicht während eines Stromausfalls in Kiew. Foto von: Marina Smal.
Mitunter werden die Kurstermine jetzt von den Stromausfällen bestimmt, sagt Marina Smal, die Miteigentümerin des Fitnessstudios. Foto von: Marina Smal.
Mitunter werden die Kurstermine jetzt von den Stromausfällen bestimmt, sagt Marina Smal, die Miteigentümerin des Fitnessstudios. Foto von: Marina Smal.
Es ist wichtig, dass unser Fitnessstudio geöffnet bleibt, denn „dort gibt es keine Ablenkungen, dort gibt es nur dich und deine Kraft“, kommentiert Marina. „Körperliche und geistige Kraft gehen Hand in Hand.“ Doch selbst mit dem Einsatz des Paares für das Fitnessstudio wird es immer schwieriger, das Unternehmen über Wasser zu halten: „Unsere Einnahmen sind viel geringer, die Kosten sind jedoch gleich geblieben.“
So geht es vielen Unternehmen in der gesamten Ukraine, unabhängig von der Branche oder der Größe. Die russische Invasion in der Ukraine hat die größte humanitäre Krise seit dem zweiten Weltkrieg ausgelöst, mit 14 Millionen Flüchtlingen und „wiederholten wirtschaftlichen Verwerfungen und einer Unsicherheit“, die laut der Weltbank essenzielle Sozialschutzsysteme bedrohen. Die Invasion in der Ukraine hat nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Menschen, sondern verursacht erhebliche wirtschaftliche Schäden in allen Branchen – bei Kleinunternehmen wie dem Fitnessstudio von Marina und Oleksandr ebenso wie bei Branchenführern wie der IMC, einem der zehn größten Agrarunternehmen der Ukraine. Das Überleben der Unternehmen und ein möglicher Wiederaufbau hängen vom „Zugang zu Finanzmitteln, Know-how und Technologie“ ab, so Alex Lissitsa, CEO von IMC.
Die IFC wird Infrastruktur, Landwirtschaft, Produktion und Handel sowie kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) in den nächsten 18 bis 24 Monaten mit einem 2-Milliarden-Dollar-Hilfspaket unterstützen. Damit sollen der Privatsektor gestärkt und das Land auf den Wiederaufbau vorbereitet werden. Diese als Economic Resilience Action (ERA) bezeichnete Initiative ist Teil der umfassenderen Reaktion der Weltbankgruppe auf die russische Invasion in der Ukraine.
Das 2-Milliarden-Dollar-Hilfspaket umfasst bis zu einer Milliarde Dollar aus eigenen Mitteln der IFC, wobei zusätzliche Mittel von Garantien der Geberländer abhängen.
„Der ukrainische Privatsektor hat angesichts dieses Krieges eine beispiellose Widerstandsfähigkeit bewiesen“, sagte IFC Managing Director Makhtar Diop. „Diese Widerstandsfähigkeit zu unterstützen und weiterhin Kapazitäten im Privatsektor aufzubauen, haben für uns Priorität. Der Einsatz von Kapital in dieser außergewöhnlichen Zeit ist unerlässlich, um Unternehmen und lebenswichtige Dienstleistungen am Laufen zu halten und, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, die bevorstehenden massiven Wiederaufbauarbeiten vorzubereiten.“
„Der Einsatz von Kapital in dieser außergewöhnlichen Zeit ist unerlässlich, um Unternehmen und lebenswichtige Dienstleistungen am Laufen zu halten und, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, die bevorstehenden massiven Wiederaufbauarbeiten vorzubereiten.“
—Makhtar Diop, IFC

Der Weg zum Wiederaufbau
Vor der russischen Invasion hat der Privatsektor bis zu 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Ukraine erwirtschaftet. Die Auswirkungen des Krieges waren verheerend: Die Nationalbank der Ukraine geht davon aus, dass 11 Prozent der Unternehmen im September 2022 noch geschlossen waren und dass mehr als die Hälfte der Unternehmen weniger als 75 Prozent ihrer Produktionskapazitäten ausschöpfen können. Mindestens 5 Millionen Arbeitsplätze, das entspricht 30 Prozent der Gesamtbeschäftigung vor dem Krieg, sind laut dem Wirtschaftsministerium verloren gegangen.
Die ERA-Initiative soll die Auswirkungen des Konflikts auf den Privatsektor während und nach dem Krieg mildern. Ein bedeutender Schwerpunkt der Initiative ist die Unterstützung des Agrarsektors, dessen Exporte vor dem Krieg ein wichtiger Motor für die Wirtschaft des Landes waren. Darüber hinaus ist der Sektor ein wichtiger Lieferant von Nahrungsmitteln für den nationalen und internationalen Markt. Einige Unternehmen in der Landwirtschaft wie IMC konnten ihren Betrieb trotz anhaltender Luftangriffe und unterbrochener Logistikwege aufrechterhalten. Sie haben jedoch mit erheblichen Hindernissen zu kämpfen, u. a. in Zusammenhang mit der Liquidität, begrenzten Exportmöglichkeiten und den hohen Logistikkosten, wie Alex Lissitsa von IMC zu Bedenken gibt.
Die ERA-Initiative ergänzt die laufende Unterstützung der IFC für die Ukraine, die sich auch auf die Bereiche Investition und Beratung erstreckt, wodurch das Land seine Handelsströme aufrechterhalten und sich den Zugang zu Kraftstoffen und anderen essenziellen Produkten sichern kann.
„Die Unterstützung ukrainischer Firmen jetzt wird dazu beitragen, dass diese weiterhin Waren und Dienstleistungen liefern und Steuereinnahmen generieren können“, so Lisa Kaestner, IFC Country Managerin für die Ukraine. „Um unseren Einsatz zu maximieren, arbeiten wir innerhalb der Weltbankgruppe zusammen mit der ukrainischen Regierung und mit Partnern, die sich der Wirkung bewusst sind, die sich durch Investitionen gemeinsam mit einem IFI [internationalen Finanzinstitut] ergibt, das sich auf den Privatsektor konzentriert.“

Sobald die Bedingungen in der Ukraine es zulassen, wird die IFC ihren Schwerpunkt auf die Förderung von wirtschaftlicher Erholung und Wiederaufbau verlagern. Sie wird Unternehmen bei der Wiederherstellung beschädigter Anlagen, der Entwicklung neuer exportorientierter Sektoren, der Sanierung von Banken sowie beim Distressed Asset Management unterstützen.
Die Reaktion der IFC wird eng mit der übrigen Weltbankgruppe und der internationalen Gemeinschaft abgestimmt. Die Weltbank wird im Rahmen ihrer unter dem Akronym PEACE bekannten Projektreihe auch in Zukunft wichtige Mittel für Staatsbudgets bereitstellen. Mit der Ausarbeitung von Rahmenoperationen für die Ukraine gibt sie Entwicklungspartnern zudem ein Instrument an die Hand, mit dem sich dringend benötigte Mittel für die ukrainische Regierung bündeln und kanalisieren lassen.
Die breit gefächerte Unterstützung hilft Alex Lissitsa und seinen Kollegen und Kolleginnen bei IMC, die Motivation in diesen schwierigen Zeiten hochzuhalten. Er und die Leitung seines Unternehmens machen weiter, weil „wir die Zukunft, auch die Zukunft der ukrainischen Landwirtschaft, im Blick haben. Wir sind überzeugt, dass wir mit der Hilfe internationaler Finanzorganisationen überleben und der Ukraine helfen können.“
Im Dezember 2022 veröffentlicht.